Das Polystyrolobjekt an sich ist nicht wirklich schön. Nein, sogar ein wenig trashig und auch etwas pornös in Mimik und Gestus. Aber Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Beeindruckend an der Installation finde ich vor allem, dass Oliver Voss, ehemaliger GF der Werbeagentur Jung von Matt, Mitbegründer und präsidialer Hufschmied der Kreativnachwuchsschmiede Miami Ad School, den Enthusiasmus und die Geduld aufgebracht hat, dieses Projekt bei Stadt und Senat durchzusetzen und zu realisieren.
Wie oft hat unsereins schon in unzähligen Agenturmeetings vorgeschlagen, in/an/auf der Binnenalster ein Produkt Ambient medial zu promoten: ob riesige Mehrwegflasche (für einen regionalen Mineralwasserkunden) um die Alsterfontäne herum oder überproportionales iPad als Badeponton. Immer gab es von den Bedenkenträgern in der Agentur denselben Zweiwortsatz zu hören: »Geht nicht!« Allein aus diesem Grund: Hut ab, bzw. das Basecap und herzlichen Glückwunsch zur Alsternixe.
Natürlich ist das Thema medial schwer overhyped. Andererseits haben wir August, es sind Schulferien und Hamburg hat sein eigenes kleines Sommerlochmärchen. Und das ist doch mal eine erfrischende Abwechslung zum alle Jahre wiederkehrenden Bonsai-Alligator im WC-Becken oder der wiederholten Ungeheuersichtung im schottischen Süßwassersee Loch Ness. Na, dann doch lieber Ambient Media – die genehmigte Variante zur Guerilla-Maßnahme – im Herzen von Hamburg.
Kunst, Kitsch oder Kommerz – darüber streiten sich seit Wochen Laien und Experten, miteinander und untereinander. Aber hat uns Hamburger 2003 irgendwer gefragt, ob wir die 100 in der Hansestadt aufgestellten Hans-Hummel-Figuren in buntester Bauernmalerei – maschinell gefertigt aus schwer recycelbarem, glasfaserverstärktem Kunststoff – schön finden, geschweige denn, haben wollten?
Ob etwas Kunst ist, klärt sich im Zweifelsfall mit der Intention des Künstlers. Aufmerksamkeit? Eigenpromotion? Profit? Profilierungsdrang? Gesprächsstoff? Stadtverschönerung? Sozialgedankliche Relevanz? Die Hans-Hummel-Figuren wurden 2006 versteigert, der Erlös von 343.000 Euro ging an die Institutiton »Ein Dach für Obdachlose«. Hier hat man gerade noch die Kurve gekriegt.
Das Projekt von Oliver Voss kommuniziert keine werbliche Botschaft, es hat keinen echten Nutzen. Ist es damit automatisch Kunst? Unabhängig davon, ob die Nixe verrucht wirkt oder kitschig. Im Zeitalter des Hybrids bezeichne ich es einfach als Kinscht.
Unterm Strich sind alle happy: Oliver Voss hat sein erstes Kunstprojekt realisiert, die Miami Ad School breit gestreute PR, die Zeitungen haben ein Sommerlochthema, die Touristen erfreuen sich einer Atrraktion mehr. Und wir Hamburger haben einen feinen Grund, unser traumhaftes Alsterpanorama mal in einem neuen Blickwinkel zu genießen.
Am Mittwochspätnachmittag herrschte am Ballindamm, Ecke Lombardsbrücke jedenfalls latente Volksfeststimmung. Junge Nerds mit Fixiebikes diskutieren mit Designfreaks und Anzug tragende Hanseaten mit Touristen in 7/8-Hosen, wer denn nun die große Unbekannte sein soll. Doch auch das liegt im Auge des Betrachters:
Die einen fühlen sich erinnert an den holländischen Premiummagier Hans Klok, andere wollen Olivia Jones und Lilo Wanders erkannt haben. In der Abendsonne mit Schlagschatten von rechts wirkt die Nixe für manche wie Lady Di. Und mit etwas Phantasie oder nach ein, zwei feierabendlichen Hefeweizen im Kopp, glauben wieder andere, bei frontaler Ansicht eine Mischung aus RTL-Moderatorin Katja Burkard und 70er-Jahre-Kinder-TV-Handpuppe »Plumpaquatsch«, Sidekick von NDR-Moderatorin Susanne Beck, zu erkennen.
Kurzum: Phantasie und Spekulation, Dialog und Neugier sind geweckt – was will Kunst mehr? Und wem die Alsternixe nun partout nicht gefällt: Die junge Dame badet hier ja lediglich 10 Tage, dann taucht sie ab – entweder in neue Gewässer oder in der Versenkung.