1983 war ein aufregendes Jahr. In vielerlei Hinsicht. Die umstrittene Volkszählung wurde gestoppt. Der stern erlebt mit der vorschnellen Veröffentlichung gefakter Tagebücher das größte Fiasko in der Historie des Magazins. Die Friedensbewegung gegen atomares Wettrüsten und die Stationierung der Pershing-II-Mittelstreckenraketen brilliert mit einer 108 Kilometer langen Menschenkette.
Die Schweiz präsentiert die Swatch, Deutschland die erste Tempo-30-Zone und als kleiner Vorläufer des Internet gibt’s BTX für alle. Eine weitere technische Sensation ist das erste Mobiltelefon, ein Kaventsmann aus dem Hause Motorola: das DynaTAC 8000X, ab sofort aus keiner amerikanischen TV-Serie mehr wegzudenken, ob Magnum, Petrocelli, Dallas.
Auch im Sport passiert einiges. Tennis ist omnipräsenter Breitensport. Schwedens Geheimwaffe, der smarte, eher wortkarge Björn Borg, verabschiedet sich aus dem Profisport. Grandplatzcholeriker John McEnroe erobert mit seinem unorthodoxen Angriffsspiel die Herzen einer neuen Teenagergeneration – weg vom elitären Fairplayer in Weiß, hin zum offensiven Wettkämpfer. Kompromisslos, aggressiv und bei regelmäßigen Wutausbrüchen nach vermeintlichen Schiedsrichterfehlentscheidungen gern das hölzerne Racket fluchend in Stücke zerschlagend.
Doch ebenso imposant wie seine Ausraster sind seine Triumphe: Allein bis 1983 siegt John McEnroe dreimal bei den legendären US-Open, zweimal in Wimbledon. Rückblickend gewann er während seiner Karriere zwischen 1979 und 1992 eindrucksvolle 77 Einzelwettkämpfe, darunter 7 Grand-Slam-Turniere. Von 1981 bis 1985 war er die unangefochtene Nr. 1 der Weltrangliste.
John McEnroe brachte den Tennissport auf die Straße und nach Schulschluss auf die Schulhöfe. Da war es nur eine Frage der Zeit, dass Nike auf das Bad-Guy-Image aufsprang und dem in Wiesbaden geborenen, aufsässigen US-Amerikaner einen Schuh widmete, der bis heute – 30 Jahre später – eine ebensolche Legende ist wie John »Bic Mac« McEnroe selbst: der John McEnroe Tennis Classic.
Der schlichte Nubukleder-Sneaker mit der blütenweißen Sohle und der schlumpfblauen Schwinge wurde zum Stilklassiker einer ganzen Generation und ist quasi einer der ersten Turnschuhe, die man außerhalb des Schulsports trug. Als es noch ärztlich attestiert hieß: Turnschuhe sind ungesund für die Füße! Hipster, die damals eher Yuppies hießen, trugen den Tennis Classic zu Jeans und Kordsakko.
Nike eröffnete damit ein ganz anderes Tennisduell fernab der Grand-, Sand- und Rasenplätze: nämlich die klare Kampfansage an die bis dato noch größte Sportmarke der Welt – adidas.
Das global ausgetragene Langzeitmatch lautete: John McEnroe vs. Stan Smith. Im Laufe der Jahre und folgenden drei Jahrzehnte erschienen immer wieder neue Farbvarianten und Materialmixe, Sondereditionen mit Klettverschluss oder dem Swoosh als Lochperforation. Auch das Urmodell mit der blauen Schwinge wurde immer wieder leicht verändert, hinsichtlich Zunge und Innenfutter.
Beim aktuellen Tennis Classic ist das Innenfutter im Farbton des Swoosh. Meine Version aus den frühen Zweitausendern punktet mit weißem Frottee, die Innensohle ist bedruckt mit blauen, gekreuzten Tennisrackets.
Mein Favorit war jedoch der Weiße mit bordeauxroter Schwinge aus den späten Neunzigern. Darüber hinaus besitze ich noch ein limitiertes Modell komplett in Schwarz. Und die für mich zornigste Edition ist immer noch die »Ice Angel«-Silhouette von 2005, mit platingrauer Sohle und silbernem Nike Logo auf lackweißem Fersenpatch zu lackweißer Schwinge.
Wie Nike 1983 auf doppelseitigen Anzeigen ebenso doppeldeutig titelte: »McEnroe swears by them«. To swear bedeutet nämlich nicht nur schwören, sondern auch fluchen.
Und Grund zum Fluchen hat nur der, der keinen Tennis Classic im privaten Portfolio hat. Auf welches Modell man dabei schwört, ist reine Geschmackssache. Wie heißt es so schön in Play that beat Mr. DJ, ebenfalls ein Klassiker aus dem Jahr 1983, von G.L.O.B.E. & Whiz Kid, original auf weißem Vinyl: »we got favorites, a favorite color, a favorite number, a favorite brother …«