Das Fahrrad hat in den letzten 15 Jahren mehr an Prestige und Relevanz gewonnen als in den gesamten 150 Jahren davor. Längst ist es vom profanen Fortbewegungsmittel zum Lifestyle-Objekt avanciert, zum modernen, schnellen Transportmittel, zum Ausdruck einer umweltbewussten Haltung und zum Sportgerät – für Langstrecke, Cross-Country-Trip oder Trendaktivitäten wie Flatground-Akrobatik, Downhill oder Fixie-Polo.
Drahtesel war gestern. Fahrrad ist nur noch ein Wikipedia-Gattungsbegriff für Freunde der StVO-Kategorisierung. Das Zweiradgenre hat sich evolutionär massiv weiterentwickelt und enorm spezifiziert und diversifiziert. So vielfältig die Radtypen, so unterschiedlich sind auch die Fahrer selbst und deren Gruppenzugehörigkeiten und Straßenphilosophien.
Die Fixed-Gear-Piloten akzeptieren gerade noch die Singlespeed-Rider, die sich von ihnen immerhin durch eine Bremse unterscheiden. Wer heute noch mit einer Schaltung unterwegs ist und 3 bis 27 Gänge besitzt, wird in der Fixie-Szene bestaunt wie ein Schreibmaschinennutzer im Zeitalter der Digitalkultur. California-Cruiser-Fahrer und Bonanzaradartisten zählt man ebenso wie die Klappradbrötchenholer an sich gar nicht zu den richtigen Bikern. Die fully equippten Rennmaschinen-Pedalisten sind seit Jahrzehnten eh eine Spezies für sich. Und eine weitere abnorme Form des Pedalantriebs sind die rasenden Tourenrad-Tekkies mit Helm und Monosatteltasche. Randerscheinungen wie Liegeradfahrer, meist Naturwissenschaftler mit Lehrauftrag, werden eher belächelt und sind quasi gleichzusetzen mit dem Toyota Prius, jenem Hybridfahrzeug, das in jedem guten Actionfilm und jeder politisch unkorrekten Comicserie mindestens schon einmal durch den Kakao gezogen wurde.
Da sind die Alurahmenfans versus Stahlfetischisten. Die Geschweißten gegen die Gemufften. Die Schwalbe-Anhänger gegen die Continental-Freaks. Faltreifen oder Drahtreifen. Französische Ventile oder Autoventile. Die Unterschiede sind oft nicht groß – und doch liegen dazwischen Anschauungswelten. Aber auch wenn Biken an sich eine Einzeldisziplin ist, drei Dinge formieren die exzentrischen Gruppierungen zu einer Einheit: die zunehmende Militanz und Ignoranz der Autofahrer, das kollektive Dissen in den Medien und die katastrophalen Zustände vieler Radwege.
Genau aus diesem Grund kam den beiden Hamburger Fotografen Till Gläser und Björn Lexius im Herbst 2012 die Idee einer Community-Fotoserie. Sie wollten dem Hamburger Radfahrer die Anonymität nehmen und zeigen, dass hinter diesem Pauschalbegriff eine Menge ambitionierter, bunter und ernstzunehmender Menschen steckt – mit individuellen Rädern und individuellen Geschichten. Mit eigener Meinung und einem Recht auf aktive Verkehrsteilnahme und zeitgemäße Radwege. »We are Traffic« heißt ihr Projekt und zeigt, dass Radfahrer keine kleine, putzige Freizeitrandgruppe sind, sondern eine aktive Masse – ambitioniert und engagiert.
»We are Traffic« ist eine fortlaufende Fotoserie, die Radfahrer aus allen Teilen Hamburgs vorstellt und der Faszination Fahrradfahren ein Gesicht gibt, in Form einer stylishen Plattform. Das Ganze läuft privat neben der klassischen Fotografenarbeit. Über die Website We are Traffic und über ihre Facebook-Fanpage kann prinzipiell jeder Hamburger Radfahrer dabei sein. Spontan bieten Björn und Till zwischen ihren Jobterminen, in der Mittagspause oder nach Feierabend Shooting-Termine und Orte an, für die man sich kurzentschlossen und unbürokratisch melden kann.
Inzwischen präsentiert die Website rund 180 abgelichtete Biker. Und das nicht im Ruckzuck-Schnappschussverfahren, sondern aufwendig und mit viel Liebe zum Rad und zur Fotografie. Schnell kam den beiden die Idee, das Projekt parallel in einem gedruckten Bildband festzuhalten. Und weil Community-Support eine feine Sache ist, setzen sie auf die medial so gern zitierte Schwarmintelligenz und aktivierten das Projekt über das Online-Portal Startnext als Crowdfunding-Aktion, also eine motivierte Selbstfinanzierung durch die Fans der »We are Traffic«-Facebook-Gruppe und wohlwollende Sympathisanten. Deadline ist der 15. April 2013.
Aktuell sind 70% der benötigten, kostendeckenden 15.000 Euro zusammen. Als Spendenanreiz locken Namensnennung auf der Website und Bildband-Pre-Order. So großartig und hip Crowdfunding in der Theorie auch immer klingt und auch das Wir-nehmen-alles-selbst-in-die-Hand: In der Praxis zeigt sich doch gern und oft, dass ja sagen und tun immer noch zwei verschiedene Dinge sind.
Ist es das für Erstaktivisten immer noch zu aufwendig wirkende Prozedere einer Online-Überweisung? Andererseits kann man ja auch oldschool per analogem Überweisungsträger seinen Obolus beisteuern. Anstatt also drei Galao zu zischen oder vier Knollen Gerstensaft, kann man doch einfach mal den Gegenwert eines Getränks flugs und ohne großes Getue supportend überweisen. Denn im Ernst: Hätte jeder der gegenwärtig immerhin 5.175 »We are Traffic«-Fans mit nur drei Euro das Projekt supportet, wäre der Drops längst gelutscht und Björn und Till könnten sich vollends auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: Knipsen und Biken.
Als Freund der theoretischen Demokratie und Verfechter des Community-Supports glaube ich hier ausnahmsweise an so was wie Schwarmintelligenz. In diesem Sinne: Dabei sein ist eben doch alles. Ob mit Bike, Bild oder Bargeld. Daumen gedrückt und keep on riding!