Berlin Fashion Week. Sehen und sehen lassen auf dem Basar der Eitelkeiten.

Pünktlich zur Berlin Fashion Week kletterten die Temperaturen wieder an die 30°C-Markierung. Genau wie letztes Jahr und auch den Sommer davor. Das macht den Marathon von Messe zu Messe und Event zu Event noch anstrengender. Andererseits hat man das Gefühl, man wäre grad in Mailand oder Barcelona. Ganz Berlin ist kunterbunt, haargewachst, bestgelaunt, tätowiert und überflutet von gerollten Chinos zu limitierten Retro-Sneakern.

Große Sonnenbrillen und noch größere, geschulterte Kalbsleder-Weekender wohin das geschulte Smokey-Eye schaut. Oftmals ist der geschmacklos gekleidete Urberliner in der U-Bahn aus Pankow oder Köpenick vom Hipster nur am Geruch zu unterscheiden. Überhaupt scheint über der gesamten Stadt ein Odeur exotisch frischer Fashiondüfte zu liegen. Hier mischen sich metrosexuelle Klassiker von Comme de Garçons mit Desigerndüften von Paul Smith und Tom Ford mit Oldschool-Düften von Drakkar Noir bis Halston Z-14 und Raritäten von Creed und Acqua di Parma.

Auch den sprichwörtlichen Duft der weiten Welt versprüht Berlin im großen Stil. In den sieben Tagen der Fashion Week scheint alles erlaubt: jede noch so absurde Kombination von Farben, Materialien, Marken und Styles. Das Feingefühl für Außentemperaturen wird souverän ignoriert. Man sieht Kunstpelze, Boots, steife Raw-Denims, schwarze Viskosemäntel, Tweedsakkos. Geplant ist geplant. Hauptsache auffallen. Und das ist bei so vielen Individualisten, die dem Trend voraus laufen und denen, die ihm schnurstracks hinterherhinken, gar nicht so leicht. Wobei sich beide Gruppierungen absurderweise oft in der Mitte wieder gegenseitig überholen.

In der Sneakerszene fällt eines immer wieder und beinahe schon ironisch auf: Je limitierter ein Sneaker, desto häufiger taucht er anlässlich der Fashion Week auf. Meine These: Wenn es von einem Modell beispielsweise »nur« 5.000 Paar gibt, kann man sicher sein, dass mindestens 2.500 davon hier und heute getragen werden. Dazu die dropsfarbene Chino gerollt, die Tätowationen präsentiert, den Jutebeutel geschultert und fertig ist der serientaugliche Antiindividualist.

Authentizität ist relativ. Und auch nur bedingt von Relevanz. Die mathematischen Modeformeln lauten: Auffallen geht vor Authentik, Schein vor Sein, Präsenz vor Dezenz. Der Basar der Eitelkeiten ist ein Pfauentreff der extremen, aber friedlichen Art. Das muss man mögen. Zumindest für ein, zwei Tage geht das ganz gut.

Die überwiegende Masse der Besucher wirkt verkleidet, gestelzt, gekünstelt, eben Fake People. Vermutlich ohne böse Absicht. Denn nicht jeder kann aus hippen Trend- und Weltstädten kommen. So ist es beinahe zwangsläufig für viele Gäste ein ähnlicher Anlass des Saurauslassens wie der Christopher Street Day, nur ohne Sattelschlepper, wie Dom ohne Schmalzgebäck und Hau-den-Lukas, wie Schlagermove ohne Jürgen Drews und den Wendler, wie Public Viewing ohne Publikum, quasi nur Viewing. Und da verkleidet man sich dementsprechend. Kein Wunder. Wer in seinem kleinen Dörfchen sonst als Exot oder Fummeltrine verspottet werden würde und dort 7/8 seines Vertriebsalltages im Konfektionszwirn darben muss, darf hier für eine Woche sein wahres oder scheinbares Ich ausleben und seinem Verständnis für Mode, Farbe und freie Entfaltung vollends freien Lauf lassen. Ob man das sehen will oder nicht.

Neben den wichtigsten Messen Bread & Butter, Premium, Bright und erstmals Capsule fanden und finden noch unzählige kleine feine Messen, Märkte und Basare statt, beispielsweise Wedding-Dress. Zudem veranstaltet jeder vierte Fashionstore noch mindestens eine Aftershow-, Warmup-, Sale- oder Collabo-Release-Party. Ob Firmament, Civilist, Wesc, No74, Soto, Eastberlin. Ein paar Lautsprecher, ein DJ, ein Gerstensaftsponsor und ab geht’s. Allein in Berlin Mitte konnte man von der Brunnenstraße über die Torstraße durch die Mulackstraße bis zur Münzstraße nahtlos alle fünfzehn Meter Fußwippen und Pils kippen.

Respektive war es wieder mal ein buntes, verrücktes und absolut gelungenes Fashionfest der Superlative mit allerlei verrückten neuen Trends und Leuten und vielen tollen, motivativen Anreizen. Und darum geht es ja unterm Strich eigentlich: um Motivation und Inspiration. Und das Geschick, aus der geballten Reizüberflutung mit Catwalk-Kollektionen, Gigs von Mos Def über Deichkind und Airbourne (und nein, das waren nicht Daft Punk bei der Bread & Butter Abschlussveranstaltung, die geben nämlich schon lange nur noch ein Konzert im Jahr weltweit, es war lediglich Deichkind DJ Phono mit einer Daft Punk Cover-Show!), den angeteasten Releases, anstehenden Collaborationen, Ideen, Visionen und Prognosen, den Geheimshows und Limited Editions und allen weiteren gestreuten Hypes, nicht das Wesentliche aus den Augen zu lassen:

Style und Authentiziät gibt’s nicht im Sale und nicht zu kaufen. Beides hat immer was mit der eigenen Haltung und mit sozialer Verantwortung zu tun. Mit Wort halten, Vorausschauen, mit Fokussierung. Und so schwer Authentizität auch für viele Leute zu leben als auch zu schreiben ist – so paradox es klingt – sie ist zeitlos in Mode.

Lang lebe die Fashion Week und herzlichen Glückwunsch zu 10 Jahre Bread & Butter. Im Januar gibt’s dann wieder kräftig Marmelade aufs Butterbrot – getreu dem Motto: harder, better, faster, stronger.