Als Fan offenbart man seine Euphorie und Leidenschaft für Stars und Lieblingsfilme auf eine simple Art: man hängt Bandposter oder Kinoplakate übers Bett oder an die Schranktür. Schon weiß jeder Besucher, wen oder was man verehrt. Genau das war auch der Auslöser bei Glaze, Sneaker-Klassiker mit Wellpappe nachzubauen.
Glaze – was soviel heißt wie Glasur oder Tortenguss – ist ein Writer der ersten Stunde, aufgewachsen in den späten Siebzigern Westberlins und den Achtzigern in Ahrensburg, zwanzig Kilometer nordöstlich von Hamburg. Freunde nannten ihn früher »Glatze«, aufgrund seiner Kurzhaarfrisur. Und da sechs Buchstaben als Signatur für einen Graffitimaler zu lang sind, strich er einfach das „t“ und wurde zu »Glaze«, an sich deutsch gesprochen, inzwischen gern englisch.
Der ausgebildete Verpackungsmittelmechaniker arbeitet als Industriedesigner für einen Hersteller von Werbemitteln, der auf Pappdisplays spezialisiert ist. Das prägt: 2009 gründet der bescheidene Hüne, der wie Darryl McDaniels von Run DMC stets eine kantige Cazal-Brille trägt, sein Label mini subwayz und vertreibt über elbtunnel.com U-Bahn-Modelle aus bedrucktem Karton zum Falten und Bemalen: Hamburger und Berliner U-Bahn, Pariser Metro, New Yorker Subway.
Seinen ersten Papp-Art-Sneaker konstruiert Glaze 2010 aus Karton- und Pappresten: einen Air Max 1 von 1987, weiß, rot und grau mit roter Schwinge, in 1,40 m Breite. Die Programme Photoshop und Illustrator hat er sich während der Praktikantenzeit in einer Werbeagentur selbst beigebracht, Plotter und Schneidemaschine kann er nach Feierabend in der Firma nutzen. Als Vorlage dienen ihm das eigene Original aus der Wiederauflage von 2008 sowie Fotos aus dem Netz. So ein Papp-Air-Max besteht insgesamt aus rund dreißig Elementen. Die Basis besteht aus BC-Welle, die Details aus 2 mm feinem Karton und E-Welle.
Bei seinen Kumpels stößt der Prototyp auf große Begeisterung. Doch Kommerz und Serienfertigung sind nicht das Ziel. Auch sieht Glaze sich selbst nicht als Künstler. Im Fokus steht das Modell. Das Design des Schuhs, der als Vorlage dient, das ist die Kunst. Glaze bezeichnet seine Werke augenzwinkernd und ohne jede Extravaganz als »Papp-Art«.
Bislang sind seine Kardboard Kickz schwer underground. Und wenn es nach ihm ginge, müsste sich das auch nicht ändern. Das Hobby soll ihm lediglich seine Reisen finanzieren.
Wenn Glaze gerade nicht Papp-Art-Sneaker kunstvoll zusammensetzt, ist er nach wie vor als Writer an der Wand aktiv oder supportet als Member der weltweiten Zulu Nation auch die anderen Elemente des Hip Hop.
Für ihn selbst sind seine Papp-Sneaker nur ein Aspekt einer noch größeren Leidenschaft: das Sammeln von Sneakern! In seiner Einzimmerwohnung stapelt sich Feines von Nike und adidas. Neben ZX-Modellen und Air Max sammelt der Ex-Basketballer mit der stattlichen Schuhgröße US 12 vor allem kompakte High-Tops: Attitude, Conductor sowie Air Jordan, vornehmlich III und IV. Angefangen hat alles mit einem zementgrauen Nike Pegasus 83, der genau genommen gar nicht seiner war. Als Elfjähriger hatte er ganz zufällig dieselbe Größe wie seine Mutter und trug deren Nike einfach heimlich.
Aktuell ist ein Nike Air Flight 89 sein Lieblingsschuh, in Schwarz. Apropos Farben: Für »Kardboard Kickz« nutzt Glaze ganz bewusst ausschließlich Firmenausschussmaterial. Jedes Objekt ist ein Unikat und besteht zu hundert Prozent aus Recycling-Pappe. Exklusive Kartonagen extra einzukaufen oder zu importieren, das widerstrebt seinem Grundgedanken. Minimalismus und Handarbeit mit recycelten Farb- und Papp-Resten statt maschinell produzierter Massenware! Lieber fertigt er zehn verschiedene »Kardboard Kickz«-Unikate als tausend Kopien eines Styles.
Neben ersten Exporten nach Wien und Kopenhagen schmücken seine Werke inzwischen Stores in seiner Wahlheimat: ein Air Max 1 hängt in seinem Lieblingssneakershop glOry hOle, bei Markus in der Marktstraße. Ein Metro Attitude ziert die Wand bei Philipp im Laden von adidas Originals im Schanzenviertel. Im Graffiti-Fachgeschäft Underpressure prangt ein Puma Clyde. Und ein imposanter ZX 8000 rundet den Style im adidas Originals Showroom Nord ab.
Glaze Traum: »Kardboard Kickz« in der Hamburger Galerie der Gegenwart oder gar im MOMA in New York. Bescheidenheit hin oder her – man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Und apropos klasse und Pappe, bzw. Papier: Wer mag, kann diesen Artikel auch noch mal analog blättern, lesen, anfassen: fein gedruckt und schick präsentiert in der Sneaker Freaker Printausgabe Issue 06, auf Seite 78-81. Yeaaah! In diesem Sinne: Support your local Sneaker Mag!