Die Berlin Fashion Week ist wieder mal beendet. Journalisten wie Fashionisten, Addicts wie Victims, Markenmacher wie Modedesigner, Blogger wie Bohemien, Stars wie Styler, Anwohner wie Zugereiste, Shopowner wie Storechecker, Lover wie Hater: Alle waren sie dabei. Alle haben sie eine Meinung. Alle knipsen, posen, posten, mailen und zwitschern sie seit Tagen, was das Zeug hält.
Dabei sein ist fast alles. In welcher Form auch immer. Auf den Shows und Partys hipper Marken und gehypter Designer, in schicken Shops und versteckten Lofts. Auf den Messen Bread & Butter, Premium, Capsule, Bright. Kurz, Berlin Fashion Week ist State of the Art.
Beim Thema Mode will jeder dabei sein, jeder hat einen Kommentar dazu. Einerseits zu Recht, andererseits leider. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick sagte mal herrlich pointiert – und für mich immer wieder von aktueller Relevanz: »Man kann nicht nicht kommunizieren!« Mode ist ein Instrument der Kommunikation. Und Mode betrifft jeden. Ob man will oder nicht. Niemand kann sich ihr entziehen. Auch wenn man das bei einer ausgedehnten S-Bahnfahrt wie Freitagabend von der Bread & Butter zur Bright – also von Tempelhof Richtung Frankfurter Allee über Neukölln nach Lichterfelde – beim Blick auf die Mitreisenden vielfach vermutet.
Fakt ist, jeder kleidet sich Tag für Tag. Egal wie. Das bewusst oder unbewusst Gewählte verrät mehr über jeden einzelnen von uns als man denkt. Ob dezent oder clowensk, geschmackvoll oder überkandidelt, authentisch oder verkleidet, visionär oder kopiert. Der oft nur feine Grat liegt ebenso oft nur im Auge des Betrachters und ist immer relativ: zu Trend, Umfeld, Land, Anlass. Anhand der gewählten Kleidung kann man das Jahr eines sozialen Aus- oder Abstiegs ebenso erkennen wie ersehntes Kokettieren mit dem Wunsch nach Anerkennung oder Auffallen. Das hat nicht immer gleich was mit Oberflächlichkeit zu tun, genereller Charakterschwäche oder geistigem Defizit. Flitzpiepen gibt es hervorragend gekleidet und unterirdisch angezogen. Apropos: Neulich zufällig aufgeschnappter Satz mit Schmunzelfaktor: »Sag mal, du bist so auffällig schlecht angezogen – arbeitest du in der Mode?!«
Die Berlin Fashion Week ist gesellschaftlich betrachtet deutlich mehr als globaler Pfauentreff und Hybrid aus Karneval ohne Büttenrede, Christopher Street Day ohne Sattelschlepper und Jahrmarkt ohne Jonglage. Verkleiden steht nicht im Fokus. Gut, bei vielen schon. Neben viel Spaß und der Möglichkeit, seine Persönlichkeit mehr oder viel mehr zu unterstreichen ist Mode vor allem zweierlei: Mode ist ein Markt, in dem allein 2011 weltweit 60 Milliarden Euro umgesetzt wurden und der hunderttausende Menschen beruflich versorgt, beschäftigt und herausfordert. Des Weiteren ist Mode ein klarer Spiegel der Gesellschaft und der kulturellen Entwicklung. Und das ist alles andere als belanglos, hier trifft Relevanz auf Interessanz.
Kulturell betrachtet kam es in der Vergangenheit alle 20 Jahre zu gravierenden Veränderungen in den fünf elementaren Bereichen Kunst, Design, Musik, Unterhaltung und Mode. 1932, 1952, 1972, 1992. Seitdem hat sich gesamtbetrachtet weniger verändert, als man glaubt. Der verblüffende Unterschied heute liegt lediglich im Wie: nämlich wie etwas produziert wird und wie es in den Handel distribuiert wird. Das oft und gern zitierte »Look & Feel« hat sich in den vergangenen 20 Jahren nur unwesentlich verändert. Stichwort Devolution statt Evolution. Der New Yorker Journalist, Buchautor und Gründer des Spy Magazins Kurt Andersen hat hierzu eine beeindruckende Analyse verfasst, just veröffentlicht im Modebusiness-Magazin Vanity Fair: Prisoners of Style«.
Lifestyle-Avantgarde hin oder her. Authentizität ist für viele immer noch ebenso schwer zu schreiben wie zu leben. Authentizität ist auch nicht neu und war meines Erachtens auch nie out. Fashion ist genau so wenig nur Mode wie Fußball nur gagiges Gebolze ist oder Werbung nur gesungene TV-Reklame und plattes Produktangebiedere auf Social-Media-Plattformen.
Die Bread & Butter ist das Beste, was Berlin passieren konnte. Der ehemalige Flughafen Berlin-Tempelhof als Location ist kolossal und allein kulturhistorisch betrachtet brillant. Auch wenn Berlin nicht Mailand oder Paris ist, nämlich eine Stadt mit vielen berühmten und ansässigen Modedesignern, so ist Berlin vor allem eins: eine Metropole, in der seit Jahren verdammt viel passiert und die faszinierend viele kreative Menschen aus allen Teilen der Welt anzieht – magnetisch wie textil. Und so lange Berlin authentisch bleibt – eben typisch Berlin – und auch nicht Mailand oder Paris sein will, ist doch alles gut.
Wer mit dem ganzen Brimborium nichts anzufangen weiß, der bleibt zuhause, genießt oder erträgt den hornissenschwarmartigen Einfall uniformierter Nonkonformisten: in Raw Denims, limitierten Sneakern, Karohemden. Buntbemützt, high- oder wedge-geheelt. Mit Zweimeterschals, wildesten Haar- und Bartkonstrukten oder bis über beide Ohren tätowiert. Mit Basbeball-Vintage-Jacken zu Elchlederstiefeln. Tighten Jeanshemden zu weiten Chinos. Ethnoponcho zu Lederleggins. Prada Brogues zu ZARA Etuikleid. Asymmetric Blazerdress von Kaviar Gauche zur oldschool Starter Cap. Tusnelda Bloch Cardigan zur geschulterten Twengirlfashionbloggerspiegelreflexkamera.
Erlaubt scheint nicht nur, was gefällt. Es ist, als hätte man das renommierte Swingerclubmotto gedreht: Alles muss, nichts kann! Na dann. Hauptsache, immer schön authentisch bleiben.